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Seilzugbremse

Gute Fahrt 1955
 
Der VW, den Vater Porsche vom Reißbrett rollte, war mit mechanischen Bremse ausgerüstet. Mit ihnen überstand er das Fegefeuer der Vorserie, machte im kalten Osten und in der warmen Cyrenaika den zweiten Weltkrieg mit und lief - vorbildlich entnazifiziert - mit den gleichen Bremsen endlich als schlichter Zivilist vom Band. An einer runden Viertelmillion Wagen hat sich dieses Bremssystem seither bewährt, und es tut das beim Standart - dem Traditionsträger der Porsche-Konzeption - auch heute noch.

Es entsprang daher weniger technischer Notwendigkeit als vor allem psychologischen Erwägungen, das Export-Modell vor nunmehr rund fünf Jahren mit hydraulischen Bremsen auszustatten. Der Neuling und Außenseiter auf dem Auslandsmarkt sollte mit gleichen Waffen wie die Konkurrenz antreten; S.M. der Käufer sollte keinen Anlaß finden, mechanisch etwa gleich primitiv zu setzen und in einer Welt, für die nun einmal hydraulische Bremsen einfach zum guten Ton gehören, die kleine luftgekühlte Wanze von vornherein nicht ganz für voll zu nehmen. Daß die mechanische Bremse, wenn man sie nicht verlottern läßt, der hydraulischen nahezu ebenbürtig ist, so viel Urteilsvermögen war dem Gros der Interessenten nicht zuzutrauen.

So existieren also heute beim VW in trauter Gemeinschaft zweierlei Bremssysteme: hydraulische Bremsen beim TRANSPORTER und EXPORT, mechanische aber nach wie vor beim STANDARD. Wie unterscheiden sich nun diese zwei Systeme, oder auch: was ist bei beiden gleich?

Da gilt zunächst einmal mit Goethe: Name ist Schall und Rauch, denn schon die Bezeichnung ist ein bischen irreführend. So wenig nämlich, wie es elektrisches Licht und Gaslicht gibt (das Licht ist beidemal genau das gleiche; nur die Art wie es erzeugt wird, ist verschieden), so wenig baut man mechanische oder hydraulische Bremsen; die sind, von konstruktiven Kleinigkeiten abgesehen, auch beim VW grundsätzlich völlig gleich. Verschieden ist allein die Art der Übertragung des Pedaldruchs auf die Bremsen; nur die erfolgt im einem Fall hydraulisch, im anderen lediglich mechanisch. Fragt sich jetzt bloß noch, was unter "mechanich" und "hydraulisch" zu verstehen ist.
Wenn man beim Gangwechsel die Kupplung tritt und mit der Lamäng den Schalthebel packt, dann führt ein routinierter Fahrer diese Hand- oder Fußgriffe "ganz mechanisch" aus; er tut das also, ohne noch etwas dabei zu denken. Die STANDARD-Bremse arbeitet nun aber nicht in diesem Sinn gedankenlos, sondern im Gegenteil nach einem geistreich ausgedachten Plan; sie macht das allerdings "mit Mitteln der Mechanik", also mit Hebeln, Kabelzügen und Gelenken, all dem stählernen Teile- und Teilekram, der so zum Repertoire des Ingenieurs gehört.

Die hydraulische Bremse, standesgemäß wie stets, bezog dagegen ihren Namen von den alten Griechen. Die Hydra war doch bekanntlich jenes Biest, mit dem schon Herakles diversen Ärger hatte; als klassische Wasserschlange stand sie im übrigen auch beim Hydranten Pate. Hydraulische Bremsen arbeiten also wohl mit Wasser? Nun, ordinäres Wasser ist ein recht aggressiver Saft, der sich mit Stahl nicht gut verträgt, ab und zu gefriert oder auch verdampft; für eine Bremse ist das nicht sehr günstig. Man nimmt deswegen ein Spezialgebräu, das die Hersteller selbst ganz schlicht als "Flüssigkeit" bezeichnen. Hydraulische Bremsen verwenden somit zur Übertragung des Pedaldrucks eine Flüssigkeit.

Eine Flüssigkeit, die in einem Rohr nicht entweichen kann, ist ungefähr ebenso hart wie Stahl; das merkt man ja manchmal bereits beim Springen vom 3-Meter-Brett. Sorgt man weiter dafür, daß sie weder (kompressiblen) Dampf noch Luft enthält, dann ist sie zur Kraftübertragung sogar hervorragend geeignet: man kommt mit den Leitungen praktisch um alle Ecken und spart, weil man durch Änderung des Querschnitts jede beliebige Kraft erzielen kann, sämtliche Hebel und Gelenke.

Soviel zur Klärung der Begriffe. Wie aber sehen nun in natura die beiden Bremsanlagen aus, von denen man als Fahrer im allgemeinen nur die Wirkung kennt?

Die Arbeitsweise einer normalen Innenbackenbremse ist ja wohl so bekannt, daß wir darüber nicht viele Worte machen wollen. Auf einer mit dem Fahrgestell verschraubten runden Platte sind je Rad zwei etwa halbkreisförmige Bremsbacken angebracht; auf ihrem Umfang ist der Bremsbelag befestigt. Mit einem Ende stützen sich beide gegen ein festes Lager; zwischen den anderen Enden ist eine Spreizvorrichtung eingebaut. Über das Ganze ist wie ein flacher Topf die Bremstrommel gestülpt, die sich mit Rad und Reifen um die Achse dreht. Wird nun in irgendeiner Weise die Spreizvorrichtung in Betrieb gesetzt, dann legen sich die (feststehenden) Backen von innen an die (rotierende) Trommel an, und die Bremserei geht los.

Bis hierher sind, wie schon gesagt, die beiden Bremssysteme praktisch gleich. Nun aber, an der Spreizvorrichtung, scheiden sich die Geister. Schauen wir uns deshalb zunächst wieder die STANDARD-Bremse an. Mittelpunkt dieser Bremsanlage ist die Bremsdruckschiene, die sich im Vorderteil des Rahmentunnels aufhält. Vorn in ihrem Kopf, zwischen den beiden Tragrohren der Vorderachse und durch ein Käppchen schamhaft abgedeckt, sind die vier Bremsseile eingehängt, die durch die Seilzughüllen rückwärts zu den Rädern laufen; das Hinterteil der Schiene stützt sich auf einen kurzen Hebel, der auf der Bremsfußhebelwelle sitzt. Stellt man nun seine Schuhgröße 45 mit entsprechendem Nachdruck auf das Bremspedal, dann weicht die Druckschiene der Übermacht und gleitet vorwärts, alle 4 Seilzüge im Schlepp. Deren Zug setzt sich fort bis zu den Radbremsen, wo sich nun folgende Mechanik abspult: Zwischen den freien Enden der zwei Bremsbacken steckt ein Gebilde, das wie ein junger Kleiderbügel ohne Haken aussieht. Dieser Bügel, taufen wir ihn einmal Nr.1, hängt aber nur an einem Ende (mit einer Kerbe) in der einen Backe; sein anderes Ende ist zwar auch geschlitzt, der Schlitz dient aber nur als Dreh- und Lagerpunkt für Nr.2.

Die Nr.2 ist auch noch kürzer, nur etwa halb so lang wie Nr.1, hört also in der Mitte zwischen den beiden Backenenden auf. Und eben da, an ihrem freien Ende, greift parallel zur Radachse das Bremsseil an.

Zieht man nun an dem Seil, dann würde weiter nichts passieren, wenn nicht die Nr.2 noch einen Auswuchs hätte; einen Appendix sozusagen - nur daß der hier nicht überflüssig ist. Eben mit diesem kleinen Auswuchs stützt sie sich nämlich ganz in der Nähe ihres Drehpunktes gegen die zweite Backe. Der Abstand Blinddarm - Drehpunkt ist nun vom Konstrukteur so ausgetüftelt, daß eine Kniehebelwirkung entsteht und beim "Betätigen" des Bremsseils die Nr.2, tatkräftig unterstützt von Nr.1, heftig die beiden Backen auseinanderdrückt.

Das war die Fußbremse. Der Handbremshebel sitzt im Wagen weiter hinten. Damit er trotzdem seine ihm zugedachte Tätigkeit erfüllen kann, ist in die Bremsdruckschiene eine Stange eingelegt, die hinten noch ein Stück herausschaut. An sich hätte einfach eine längere Bremsdruckschiene gewiß den gleichen Zweck erfüllt. Aber es existiert da eine Vorschrift, wonach an jedem Wagen zwei voneinander unabhängige Bremsen vorhanden sein müssen - soweit das konstruktiv zu machen ist. Die Unabhängigkeit reicht also bei der STANDARD-Bremse bis an den Kopf der Bremsdruckschiene. Von da ab wirkt der Handbremshebel just auf den gleichen Mechanismus wie das Pedal - wie dieses somit auch auf sämtliche vier Räder. Die Wirkung ist daher in jedem Fall dieselbe, gleichgültig, ob man seinen Fuß bemüht oder am rechten Arm den Bizeps krümmt. Der Bremslichtschalter, der vorn neben dem Kopf der Bremsdruckschiene sitzt, spricht ebenfalls auf beide Bremsen an. Was wichtig ist, falls man vielleicht mal unterwegs den Krampf ins Bein kriegt.

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