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Kraftwagen

ams Nr.21/73

Nur noch die äußere Linie hat ein von Autohaus Nordstadt in Hannover gebauter Käfer mit dem Serienprodukt gemein: Das auf einem Porsche-Fahrwerk rollende Auto verfügt über den 210PS starken Sechszylinder des Porsche Carrera, der als Mittelmotor eingebaut ist.

Wer ihm das erste Mal gegenüber steht, ist sich schon bei bloßer Betrachtung sofort klar darüber, daß der auf dicken Walzenreifen unter eindruchsvoll breiten Kotflügeln tief am Boden kauernde Käfer etwas ganz besonderes sein muß.
Und das man es in der Tat mit einem bisher einmaligen Exemplar der Käferrasse zu tun hat, wird augenblicklich deutlich, wenn der Motor des lediglich mit der schlichten Aufschrift "Autohaus Nordstadt" gezierten Autos angelassen wird: Aus den beiden Auspuffrohren, die unter den hinteren Kotflügeln herausragen, dringt der unverkennbare Auspuffton eines Porsche-Sechszylinders. Ein Blick unter die hintere Haube freilich bringt nichts an den Tag: Dort, wo bei einem VW-Käfer üblicherweise der Motor angesiedelt ist, entdeckt man eine leere Höhle, denn das Porsche-Triebwerk liegt als Mittelmotor vor der Hinterachse und ist unter einem großen schwarzen Kasten hinter den beiden Schalensitzen verborgen. Die aggressiv kreischende Antriebsquelle ist die bisher stärkste Serienversion des luftgekühlten Boxermotors. Sie stammt aus dem Porsche Carrera, besitzt einen Hubraum von 2,7 Litern und versorgt das silbergraue Einzelstück aus Hannover in gänzlich serienmäßigem Zustand mit stattlichen 210 Pferdestärken.

Als vor gut zwei Jahren eine Karosserie-Studie der Käferkarosse auch ohne Fahrgestell bemerkenswerte Festigkeit bescheinigte, kam ein Prokurist des Autohauses Nordstadt auf die Idee, einen Mittelmotor-Käfer mit selbsttragender Karosserie zu bauen. Damit begann - vornehmlich an Wochenenden - die Arbeit an einem Käfer, der alles Bisherige in den Schatten stellen sollte.
Als Ausgangsbasis diente die Bodengruppe des VW-Porsche 914. Diese verstärkenden Blechteile laufen vorne bis unter das Armaturenbrett und hinten bis unter das Rückfenster. Trotzdem mußte die darauf montierte Käfer-Karosserie verständlicherweise noch an verschiedenen Punkten unterstützt werden, um auch ohne ihre angestammte Bodenplatte mit ausreichender Festigkeit aufwarten zu können: Die vorderen Seitenteile sind ebenso wie die hinteren, deren Belüftungsgitter übrigens vom VW411 Variant stammen, durch das Einschweißen von Verstrebungen und einer zweiten Innenblechhaut als tragende Elemente ausgebildet. Um Platz für die auf neun Zoll breiten Rennfelgen montierten Gürtelreifen der Größe FR 70 VR 14 zu schaffen, wurden serienmäßige Kotflügel der Länge nach durchgeschnitten und durch das Einsetzen von Blechstreifen um jeweils fünf Zentimeter verbreitert. Die hinteren Kotflügel mußten teilweise sogar von Hand getrieben werden, weil sie die breiten Achslenker vom VW-Porsche verdeckten. Da das Auto dadurch erheblich breiter wurde, waren Serienstoßstangen natürlich zu kurz, weshalb man sie in der Mitte durchschnitt, ein zusätzliches Stück einsetzte und die ganzen Teile neu verchromte. Auf diese Weise wurde gleichzeitig ein harmonischer Einbau des speziell angefertigten Ölkühlers in der vorderen Stoßstange erreicht.

Als die Änderungen an der Karosserie, die rund 1000 Stunden Schweißarbeit erforderten, nahezu beendet waren, präsentierte VW den neuen 1303 mit gewölbter Windschutzscheibe, worauf man auch noch das Dach auswechselte, um den Einbau dieser Scheibe zu ermöglichen.

Der Aufwand bis zur Fertigstellung der Karosserie war beträchtlich: Drei Roh-Karosserien und zwei VW-Porsche-Fahrgestelle wurden verbraucht, bis in allen Punkten die optimale Lösung gefunden war. Die sorgfältige Arbeit hat sich allerdings gelohnt: Das äußerlich betont schlicht gehaltene Auto sieht aus, als entstamme es der routinierten Wolfsburger Serienproduktion. Unsaubere oder provisorische Details sind nirgends zu entdecken.

Der Einbau der Antriebseinheit machte ebenfalls etliche Modifikationen nötig. Der vor der Hinterachse postierte Carrera-Motor, der den Käfer zu einem kompromißlosen Zweisitzer macht, erhielt das Ölkühlsystem des 2,4 Liter-911 und einen Handgefertigten Öltank, der 15 Liter faßt. An den durch zwei Klappen relativ gut zugänglichen Sechszylinder ist das Fünfganggetriebe des 2,2 Liter 911S angeflanscht, doch soll dies nur eine Zwischenlösung sein. Der Käfer wird auch das Getriebe vom Carrera erhalten. Auch das Fahrwerk besitzt keine Ähnlichkeit mehr mit dem eines normalen Käfers: Die Vorderachse einschließlich der Lenkung war ursprünglich für einen Porsche 911S gedacht, während sich die Hinterachse, die über ein Differential mit 80 prozentiger Sperrwirkung verfügt, aus den Schräglenkern des Porsche 914/6, den Achswellen eines Porsche 911S und den Scheibenbremsen eines Renn 914 zusammensetzt.
Im Passagierraum des Käfer-Carrera findet man ebenfalls zahlreiche Porsche Elemente vor: Hinter dem lederbezogenen 911-Lenkrad entdeckt man das komplette Porschearmaturenbrett mit fünf Rundinstrumenten, und daß sich unter der Käfer Karosserie ausschließlich Porsche-Mechanik befindet, wird deutlich, wenn man den Porsche-Zündschlüssel umdreht, den 1.Gang einlegt und das gleichfalls von Porsche übernommene Gaspedal niederdrückt. Bei vollem Einsatz der Motorleistung sind die breiten Gürtelreifen trotz der relativ hohen Belastung der Hinterachse überfordert - der Nordstadt-Käfer markiert den Startpunkt mit zwei dicken schwarzen Gummispuren auf der Straße und setzt sich in einer blauen Qualmwolke derart vehement in Bewegung, daß selbst renommierte Sportwagen der obersten Preisklasse alles daransetzen müssen, um ihm zu folgen.

Schon nach 7,3 Sekunden wird die 100 km/h-Marke, die man noch im 2.Gang erreicht, überschritten, und auch noch in der dritten Fahrstufe eilt die Nadel des Drehzahlmessers so schnell auf den bei 7300 U/min beginnenden roten Warnbereich zu, daß man sich beeilen muß, mit dem Schalten nachzukommen. Selbst im Geschwindigkeitsbereich bis etwa 160 km/h muß man dem Carrera-Käfer gewachsene Gegner in der Reihe großvolumiger italienischer Sportwagen suchen: Der von auto motor und sport ermittelte Wert von 18,3 Sekunden für die Beschleunigung von 0 auf 160 km/h entspricht etwa dem, den auch der über 80000 Mark teure Maserati Indy mit einem über vier Liter großen Achtzylindermotor erreicht. Ein Serienkäfer hat naturgemäß gegen den röhrenden Sechzylinder-VW vollends keine Chancen: Wenn das Serienauto bei 100 km/h angekommen ist, bewegt sich der Nordstadt-Käfer längst in Bereichen über 160 km/h. Und selbst hier ist bei dem Kraftpaket aus Hannover kein Zeichen von Schwäche zu bemerken: Es legte den stehenden Kilometer in der bemerkenswerten Zeit von 27,9 Sekunden zurück und war danach schon deutlich über 180 km/h schnell. Dann vergeht auch nicht mehr viel Zeit, bis die Höchstgeschwindigkeit erreicht ist, und obwohl sie deutlich unter der eines mit dem gleichen Triebwerk ausgerüsteten Carrera liegt, ist sie für ein Auto mit Käfer-Karosserie doch überaus eindrucksvoll - der Nordstadt-Käfer erreicht im Mittel aus mehreren Messungen exakt 213,1 km/h. Daß mit 210 PS keine höhere Geschwindigkeit möglich ist, liegt hauptsächlich an der vergleichsweise schlechten Aerodynamik der Käfer-Form, die im Vergleich zum Porsche Carrera rund 30 km/h kostet.

Das muß den Fahrer des 210 PS-Käfers freilich kaum ernsthaft bekümmern, denn der Eindruck, den man auf der Auobahn auf die Piloten schneller Autos macht, ist auch so ohne Beispiel. Überholprestige darf man allerdings nicht erwarten: Wenn der Fahrer eines mit 160 km/h dahinrollenden Mercedes 350 SE oder eines Dreiliter-BMW im Rückspiegel einen VW-Käfer ausmacht, ist dies für ihn in den meisten Fällen kein Grund, auf die rechte Spur überzuwechseln. Ganz im Gegenteil kann der Käferfahrer damit rechnen, daß nun das Gaspedal weiter durchgetreten wird, um der Potenz des Hintermanns auf die Spur zu kommen - ein Bemühen, das jedoch zur grenzenlosen Verblüffung auch stark motorisierter Autobahnbenutzer meist ohne Erfolg bleibt. Wenn sie in der Erwartung, des Guten nunmehr genug getan zu haben, bei 180 km/h die Überholspur freigeben, zieht der Nordstadt-Käfer kräftig beschleunigend vorbei, wobei eine aus den Auspuffrohren dringende, kleine Ölwolke dem Überholten zeigt, daß gerade in den nächsten Gang geschaltet wurde.

Bei all dem muß der Fahrer des Käfer-Carrera keine besonderen Strapazen auf sich nehmen, denn obwohl der luftgekühlte Sechszylinder seine Arbeit direkt hinter den Passagieren verrichtet, fällt seine Anwesenheit niemals unangenehm auf - der Geräuschpegel entspricht auch bei vollem Ausnutzen der vorhandenen Drehzahlreserven etwa dem eines serienmäßigen Porsche. Und auch sonst kann man sich über alle Tugenden freuen, die ein normales Alltagsauto auszeichnen. Der Motor beantwortet Gasgeben bei niedrigen Drehzahlen mit mit sauberem, spontanem Hochdrehen, und entsrechend eindrucksvoll fielen die Elastizitätsmessungen aus: Im V.Gang benötigt der Superkäfer für die Beschleunigung von 40 bis 100 km/h nur 11,5 Sekunden, und bis 160 km/h waren es nicht mehr als rund 22 Sekunden.
Daß die bei den Elastizitätsmessungen ermittelten Werte ebenso wie die Beschleunigungsdaten nicht ganz an die des gleichstarken Porsche Carrera heranreichen, hat vor allem zwei Gründe: Während der von auto motor und sport gefahrene Carrera RS (Test Heft 4/73) der ersten Serie mit magerer Innenausstattung und nur rund 1000 kg Gewicht entstammte, brachte der Nordstadt-Käfer wegen seiner Karosserie-Versteifungen und der reichhaltigen Ausstattung einschließlich Radio immerhin 1100 kg auf die Waage. Zum anderen traten - wahrscheinlich durch Materialdehnung - Klemmerscheinungen in der Schaltübertragung auf, weshalb die Gangwechsel beim Beschleunigen relativ viel Zeit beansruchten. Mit dem geplanten Einbau des Carrera-Getriebes, das im Gegensatz zum gegenwärtig installierten Exemplar auch über das neue, praxisgerechtere Schaltschema mit rechts oben liegendem V.Gang verfügt, dürften diese Schwierigkeiten jedoch beseitigt werden.

 

Zum Vergleich

 VW 1303
Nordstadt
VW 1303S
Serie
Porsche
Carrera RS
Ferrari
Dino
Lamborghini
Jarama
Maserati
Indy
Hubraum ccm268715842687241839294136
Leistung PS/U/min210/630050/4000210/6300195/7600350/7500231/5000
Preis DMca.60000722037980399606993084000
Beschleunigung in s 
0 bis 60 km/h3,26,92,63,53,73,9
0 bis 80 km/h5,512,24,15,35,25,9
0 bis 100 km/h7,319,55,77,46,98,2
0 bis 120 km/h10,436,88,010,19,010,8
0 bis 140 km/h13,6-10,213,112,014,4
0 bis 160 km/h18,3-13,717,415,518,4
0 bis 180 km/h26,0-17,623,019,823,2
1km steh.Start27,939,825,427,126,428,0
Höchstgeschw.km/h213,1142,3240,0238,4249,2246,7

 

Durch den zentralen Einbau des Sechzylinders konnte die dem VW-Käfer angeborene Hecklastigkeit auf ein Minimum reduziert werden: Das Gewicht verteilt sich zu 500 kg auf der Vorder- und zu 600 kg auf die Hinterachse. Zusammen mit der aus Teilen des VW-Porsche 914 und des Porsche 911 bestehenden modernen Fahrwerkskonstruktion bietet das Mittelmotor-Auto somit von der Konzeption her beste Voraussetzungen für sicheres und unproblematisches Fahrverhalten. Speziel auf der Autobahn wußte der Käfer angenehm zu überraschen: Selbst in der Gegend der Höchstgeschwindigkeit fuhr er ohne Zutun des Fahrers mustergültig geradeaus und ließ sich weder von Fahrbahnfugen noch von seitlichen Winden nennenswert beeindrucken.

Bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang, daß die für ein Mittelmotor-Auto ungewöhnliche Richtungsstabilität ganz ohne den Einsatz aerodynamischer Hilfsmittel erreicht werden konnte. Ursprünglich waren die Väter des Nordstadt-Käfers zwar auf den naheliegenden Gedanken gekommen, den Auftrieb durch einen Frontspoiler zu verringern, doch zeigten eingehenden Versuche, daß sich dadurch die Belastung der Vorderachse auch bei Geschwindigkeiten über 200 km/h kaum ändert - weshalb man auf das Windleitblech, das auch nicht zum gewünschten unaufdringlichen Äußeren des Käfers gepaßt hätte, bereitwillig verzichtete.

In schnell gefahrenen Kurven besitzt das breitspurige, mit einstellbaren Koni-Dämpfern straff gedämpfte Auto all die guten Eigenschaften, die man von einem Mittelmotor-Wagen erwartet. Es bleibt bis zum Erreichen relativ hoher Querbeschleunigungen völlig neutral und geht beim Überschreiten der Haftgrenze der breiten Reifen in leichtes Übersteuern über, das durch Zurücknehmen des Lenkradeinschlags mühelos ausgeglichen werden kann. Mit der praktisch in allen Lebenslagen in reichlichem Maß zur Verfügung stehenden Überschußleistung kann man zudem das Kurvenverhalten nahezu beliebig beeinflussen - selbst bei hohen Geschwindigkeiten schwenkt das Heck beim kräftigen Gasgeben spontan nach außen, so daß routinierte Fahrer Staßenkrümmungen aller Art in abenteuerlichen Driftwinkeln umrundetn können. Erwartungsgemäß gaben die Scheibenbremsen, die vorn und hinten innenbelüftet sind, keinerlei Probleme auf: Sie sorgten stets für überdurchschnittliche Verzögerung und überstanden auch mehrmaliges Abbremsen aus sehr hoher Geschwindigkeit ohne den geringsten Verlust an Bremswirkung.

Ob der Käfer-Carrera ein Einzelstück bleibt, ist derzeit noch nicht entgültig entschieden, doch kann man annehmen, daß nach der TÜV-Zulassung, die man bei Nordstadt ohne größere Schwierigkeiten zu erreichen hofft, eine kleine Serie dieser Super-Käfer gebaut wird. Billig wären diese exklusiven Stücke freilich nicht: Obwohl es relativ einfach wäre, weitere Exemplare nach den vorhandenen Plänen zu bauen - während im Prototyp einschließlich aller Versuche über 2000 Arbeitsstunden stecken -, müßten Interessenten mit einem Verkaufspreis von 60000 bis 80000 Mark rechnen. Damit läge der Käfer auf dem Preisniveau eines Ferrari oder Lamborghini, doch hat man bei Nordstadt sicher recht, wenn man glaubt, daß eine beschränkte Zahl von Liebhabern für Porsche-Fahrleistungen im Käfer-Gewand diesen Preis zu zahlen bereit ist.

1.Gürtelreifen:FR 70 VR 14
2.Vorderschse:VW-Porsche 914
3.Tank:VW-Porsche 914
4.Lenkung:VW-Porsche 914
5.Armaturentafel:Porsche 911
6.Belüftungsgitter:VW 412
7.Hinterachse:VW-Porsche 914
8.Zusatz-&Öuml;lkühler
9.Bodengruppe:VW-Porsche 914
10.Triebwerk:Porsche Carrera 210PS

 

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