Kraftwagen | ams Nr.21/73 |
Als vor gut zwei Jahren eine Karosserie-Studie der Käferkarosse auch ohne
Fahrgestell bemerkenswerte Festigkeit bescheinigte, kam ein Prokurist des
Autohauses Nordstadt auf die Idee, einen Mittelmotor-Käfer mit
selbsttragender Karosserie zu bauen. Damit begann - vornehmlich an Wochenenden
- die Arbeit an einem Käfer, der alles Bisherige in den Schatten stellen
sollte.
Als Ausgangsbasis diente die Bodengruppe des VW-Porsche 914.
Diese verstärkenden Blechteile laufen vorne bis unter das Armaturenbrett und
hinten bis unter das Rückfenster. Trotzdem mußte die darauf montierte
Käfer-Karosserie verständlicherweise noch an verschiedenen Punkten unterstützt
werden, um auch ohne ihre angestammte Bodenplatte mit ausreichender
Festigkeit aufwarten zu können: Die vorderen Seitenteile sind ebenso wie die
hinteren, deren Belüftungsgitter übrigens vom VW411 Variant stammen, durch das
Einschweißen von Verstrebungen und einer zweiten Innenblechhaut als tragende
Elemente ausgebildet. Um Platz für die auf neun Zoll breiten Rennfelgen
montierten Gürtelreifen der Größe FR 70 VR 14 zu schaffen, wurden
serienmäßige Kotflügel der Länge nach durchgeschnitten und durch das
Einsetzen von Blechstreifen um jeweils fünf Zentimeter verbreitert. Die
hinteren Kotflügel mußten teilweise sogar von Hand getrieben werden, weil sie
die breiten Achslenker vom VW-Porsche verdeckten.
Da das Auto dadurch erheblich breiter wurde, waren Serienstoßstangen natürlich
zu kurz, weshalb man sie in der Mitte durchschnitt, ein zusätzliches Stück
einsetzte und die ganzen Teile neu verchromte. Auf diese Weise wurde
gleichzeitig ein harmonischer Einbau des speziell angefertigten Ölkühlers in
der vorderen Stoßstange erreicht.
Als die Änderungen an der Karosserie, die rund 1000 Stunden Schweißarbeit erforderten, nahezu beendet waren, präsentierte VW den neuen 1303 mit gewölbter Windschutzscheibe, worauf man auch noch das Dach auswechselte, um den Einbau dieser Scheibe zu ermöglichen.
Der Aufwand bis zur Fertigstellung der Karosserie war beträchtlich: Drei Roh-Karosserien und zwei VW-Porsche-Fahrgestelle wurden verbraucht, bis in allen Punkten die optimale Lösung gefunden war. Die sorgfältige Arbeit hat sich allerdings gelohnt: Das äußerlich betont schlicht gehaltene Auto sieht aus, als entstamme es der routinierten Wolfsburger Serienproduktion. Unsaubere oder provisorische Details sind nirgends zu entdecken.
Der Einbau der Antriebseinheit machte ebenfalls etliche Modifikationen nötig. Der vor
der Hinterachse postierte Carrera-Motor, der den Käfer zu einem
kompromißlosen Zweisitzer macht, erhielt das Ölkühlsystem des 2,4 Liter-911
und einen Handgefertigten Öltank, der 15 Liter faßt. An den durch zwei
Klappen relativ gut zugänglichen Sechszylinder ist das Fünfganggetriebe
des 2,2 Liter 911S angeflanscht, doch soll dies nur eine Zwischenlösung sein.
Der Käfer wird auch das Getriebe vom Carrera erhalten.
Auch das Fahrwerk besitzt keine Ähnlichkeit mehr mit dem eines normalen
Käfers: Die Vorderachse einschließlich der Lenkung war ursprünglich für einen
Porsche 911S gedacht, während sich die Hinterachse, die über ein Differential
mit 80 prozentiger Sperrwirkung verfügt, aus den Schräglenkern des Porsche
914/6, den Achswellen eines Porsche 911S und den Scheibenbremsen eines Renn
914 zusammensetzt.
Im Passagierraum des Käfer-Carrera findet man ebenfalls zahlreiche Porsche
Elemente vor: Hinter dem lederbezogenen 911-Lenkrad entdeckt man das komplette
Porschearmaturenbrett mit fünf Rundinstrumenten, und daß sich unter der
Käfer Karosserie ausschließlich Porsche-Mechanik befindet, wird deutlich, wenn
man den Porsche-Zündschlüssel umdreht, den 1.Gang einlegt und das gleichfalls
von Porsche übernommene Gaspedal niederdrückt.
Bei vollem Einsatz der Motorleistung sind die breiten Gürtelreifen trotz der
relativ hohen Belastung der Hinterachse überfordert - der Nordstadt-Käfer
markiert den Startpunkt mit zwei dicken schwarzen Gummispuren auf der Straße
und setzt sich in einer blauen Qualmwolke derart vehement in Bewegung, daß
selbst renommierte Sportwagen der obersten Preisklasse alles daransetzen
müssen, um ihm zu folgen.
Schon nach 7,3 Sekunden wird die 100 km/h-Marke,
die man noch im 2.Gang erreicht, überschritten, und auch noch in der dritten
Fahrstufe eilt die Nadel des Drehzahlmessers so schnell auf den bei 7300
U/min beginnenden roten Warnbereich zu, daß man sich beeilen muß, mit dem
Schalten nachzukommen. Selbst im Geschwindigkeitsbereich bis etwa 160 km/h
muß man dem Carrera-Käfer gewachsene Gegner in der Reihe großvolumiger
italienischer Sportwagen suchen: Der von auto motor und sport ermittelte Wert
von 18,3 Sekunden für die Beschleunigung von 0 auf 160 km/h entspricht etwa
dem, den auch der über 80000 Mark teure Maserati Indy mit einem über vier
Liter großen Achtzylindermotor erreicht. Ein Serienkäfer hat naturgemäß
gegen den röhrenden Sechzylinder-VW vollends keine Chancen: Wenn das
Serienauto bei 100 km/h angekommen ist, bewegt sich der Nordstadt-Käfer längst
in Bereichen über 160 km/h.
Und selbst hier ist bei dem Kraftpaket aus Hannover kein Zeichen von Schwäche
zu bemerken: Es legte den stehenden Kilometer in der bemerkenswerten Zeit
von 27,9 Sekunden zurück und war danach schon deutlich über 180 km/h schnell.
Dann vergeht auch nicht mehr viel Zeit, bis die Höchstgeschwindigkeit
erreicht ist, und obwohl sie deutlich unter der eines mit dem gleichen
Triebwerk ausgerüsteten Carrera liegt, ist sie für ein Auto mit
Käfer-Karosserie doch überaus eindrucksvoll - der Nordstadt-Käfer erreicht
im Mittel aus mehreren Messungen exakt 213,1 km/h. Daß mit 210 PS keine
höhere Geschwindigkeit möglich ist, liegt hauptsächlich an der vergleichsweise
schlechten Aerodynamik der Käfer-Form, die im Vergleich zum Porsche Carrera
rund 30 km/h kostet.
Bei all dem muß der Fahrer des Käfer-Carrera keine besonderen Strapazen auf
sich nehmen, denn obwohl der luftgekühlte Sechszylinder seine Arbeit direkt
hinter den Passagieren verrichtet, fällt seine Anwesenheit niemals unangenehm
auf - der Geräuschpegel entspricht auch bei vollem Ausnutzen der vorhandenen
Drehzahlreserven etwa dem eines serienmäßigen Porsche.
Und auch sonst kann man sich über alle Tugenden freuen, die ein normales
Alltagsauto auszeichnen. Der Motor beantwortet Gasgeben bei niedrigen
Drehzahlen mit mit sauberem, spontanem Hochdrehen, und entsrechend
eindrucksvoll fielen die Elastizitätsmessungen aus: Im V.Gang benötigt der
Superkäfer für die Beschleunigung von 40 bis 100 km/h nur 11,5 Sekunden, und
bis 160 km/h waren es nicht mehr als rund 22 Sekunden.
Daß die bei den Elastizitätsmessungen ermittelten Werte ebenso wie die
Beschleunigungsdaten nicht ganz an die des gleichstarken Porsche Carrera
heranreichen, hat vor allem zwei Gründe: Während der von auto motor und sport
gefahrene Carrera RS (Test Heft 4/73) der ersten Serie mit magerer
Innenausstattung und nur rund 1000 kg Gewicht entstammte, brachte der
Nordstadt-Käfer wegen seiner Karosserie-Versteifungen und der reichhaltigen
Ausstattung einschließlich Radio immerhin 1100 kg auf die Waage. Zum anderen
traten - wahrscheinlich durch Materialdehnung - Klemmerscheinungen in der
Schaltübertragung auf, weshalb die Gangwechsel beim Beschleunigen relativ
viel Zeit beansruchten. Mit dem geplanten Einbau des Carrera-Getriebes, das
im Gegensatz zum gegenwärtig installierten Exemplar auch über das neue,
praxisgerechtere Schaltschema mit rechts oben liegendem V.Gang verfügt,
dürften diese Schwierigkeiten jedoch beseitigt werden.
VW 1303 Nordstadt |
VW 1303S Serie | Porsche Carrera RS | Ferrari Dino |
Lamborghini Jarama | Maserati Indy | |
Hubraum ccm | 2687 | 1584 | 2687 | 2418 | 3929 | 4136 |
Leistung PS/U/min | 210/6300 | 50/4000 | 210/6300 | 195/7600 | 350/7500 | 231/5000 |
Preis DM | ca.60000 | 7220 | 37980 | 39960 | 69930 | 84000 |
Beschleunigung in s | ||||||
0 bis 60 km/h | 3,2 | 6,9 | 2,6 | 3,5 | 3,7 | 3,9 |
0 bis 80 km/h | 5,5 | 12,2 | 4,1 | 5,3 | 5,2 | 5,9 |
0 bis 100 km/h | 7,3 | 19,5 | 5,7 | 7,4 | 6,9 | 8,2 |
0 bis 120 km/h | 10,4 | 36,8 | 8,0 | 10,1 | 9,0 | 10,8 |
0 bis 140 km/h | 13,6 | - | 10,2 | 13,1 | 12,0 | 14,4 |
0 bis 160 km/h | 18,3 | - | 13,7 | 17,4 | 15,5 | 18,4 |
0 bis 180 km/h | 26,0 | - | 17,6 | 23,0 | 19,8 | 23,2 |
1km steh.Start | 27,9 | 39,8 | 25,4 | 27,1 | 26,4 | 28,0 |
Höchstgeschw.km/h | 213,1 | 142,3 | 240,0 | 238,4 | 249,2 | 246,7 |
Durch den zentralen Einbau des Sechzylinders konnte die dem VW-Käfer angeborene Hecklastigkeit auf ein Minimum reduziert werden: Das Gewicht verteilt sich zu 500 kg auf der Vorder- und zu 600 kg auf die Hinterachse. Zusammen mit der aus Teilen des VW-Porsche 914 und des Porsche 911 bestehenden modernen Fahrwerkskonstruktion bietet das Mittelmotor-Auto somit von der Konzeption her beste Voraussetzungen für sicheres und unproblematisches Fahrverhalten. Speziel auf der Autobahn wußte der Käfer angenehm zu überraschen: Selbst in der Gegend der Höchstgeschwindigkeit fuhr er ohne Zutun des Fahrers mustergültig geradeaus und ließ sich weder von Fahrbahnfugen noch von seitlichen Winden nennenswert beeindrucken.
Bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang, daß die für ein Mittelmotor-Auto ungewöhnliche Richtungsstabilität ganz ohne den Einsatz aerodynamischer Hilfsmittel erreicht werden konnte. Ursprünglich waren die Väter des Nordstadt-Käfers zwar auf den naheliegenden Gedanken gekommen, den Auftrieb durch einen Frontspoiler zu verringern, doch zeigten eingehenden Versuche, daß sich dadurch die Belastung der Vorderachse auch bei Geschwindigkeiten über 200 km/h kaum ändert - weshalb man auf das Windleitblech, das auch nicht zum gewünschten unaufdringlichen Äußeren des Käfers gepaßt hätte, bereitwillig verzichtete.
Ob der Käfer-Carrera ein Einzelstück bleibt, ist derzeit noch nicht entgültig entschieden, doch kann man annehmen, daß nach der TÜV-Zulassung, die man bei Nordstadt ohne größere Schwierigkeiten zu erreichen hofft, eine kleine Serie dieser Super-Käfer gebaut wird. Billig wären diese exklusiven Stücke freilich nicht: Obwohl es relativ einfach wäre, weitere Exemplare nach den vorhandenen Plänen zu bauen - während im Prototyp einschließlich aller Versuche über 2000 Arbeitsstunden stecken -, müßten Interessenten mit einem Verkaufspreis von 60000 bis 80000 Mark rechnen. Damit läge der Käfer auf dem Preisniveau eines Ferrari oder Lamborghini, doch hat man bei Nordstadt sicher recht, wenn man glaubt, daß eine beschränkte Zahl von Liebhabern für Porsche-Fahrleistungen im Käfer-Gewand diesen Preis zu zahlen bereit ist.
1.Gürtelreifen:FR 70 VR 14 2.Vorderschse:VW-Porsche 914 3.Tank:VW-Porsche 914 4.Lenkung:VW-Porsche 914 5.Armaturentafel:Porsche 911 |
6.Belüftungsgitter:VW 412 7.Hinterachse:VW-Porsche 914 8.Zusatz-&Öuml;lkühler 9.Bodengruppe:VW-Porsche 914 10.Triebwerk:Porsche Carrera 210PS |