1985 wurde der Vertrieb des VW-Käfers in
Deutschland eingestellt. Dieser nicht immer
ganz ernstgemeinte Nachruf erschien seinerzeit
im deutschen Satire-Magazin TITANIC.
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50 Jahre und kein bißchen leise

 

Ein Nachruf auf den Käfer von Richard Kähler

 

1936

Adolf Hitler wünscht sich ein Auto für sein Volk:
"Und zwar eines mit luftgekühltem 4-Zylinder Boxermotor im Heck, 985 ccm Hubraum, 24 PS Leistung, Verdichtung 5.6:1, Drehstabfederung vorn und hinten, Seilzugbremsen, Radstand 2400 mm, Bereifung 4.50-16, Leergewicht 600 kg ... na, und er muß mindestens 100 Sachen laufen - was meinen Sie, läßt sich sowas bis morgen bauen, Herr Porsche?"
  Dann nämlich (vorausgesetzt der Wagen ist vollgasfest) wären seine Deutschen in 29.48 Sunden in Moskau, denkt Adolf Hitler. An einen Rückwärtsgang für seinen Volkswagen denkt er nicht. Ferdinand Porsche denkt daran. Ein weitsichtiger Mann in einer engen Zeit.
  Die erste Probefahrt über die Autobahn, die Hitler selbst gebaut hat, verläuft zu seiner Zufriedenheit: Der kugelige kleine Wagen läuft sogar etwas schneller als 100 km/h, weil der Tacho mogelt:
"Aber die Heizung, mein lieber Porsche ..."
  Betrübt blickt Hitler auf seinen angesengten linken Stiefel, als er aus dem Wagen steigt, und vergißt darüber völlig, daß er ja eigentlich gar keinen Führerschein hat.

1945

Hitler hat plötzlich in Deutschland nichts mehr zu sagen. Sofort werden die restlichen Volkswagen mit 25 PS Motoren aus 1131 ccm Hubraum ausgeliefert - damit man noch schneller rückwärts fahren kann.

1951

Die ersten deutschen Autofahrer, teilweise noch barfuß im VW unterwegs, sind nicht länger gewillt, sich jede Quälerei gefallen zu lassen. Das VW-Werk reagiert spontan und spendiert neue Heizkörper. Sie sind fast so gut wie die alten.

1952

Ein Volk kommt langsam in die Gänge. Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Der VW-Vergaser erhält eine Beschleunigerpumpe. Und dazu passend verstärkte Stoßstangen. Das ebenfalls neu eingeführte dreieckige Drehfenster in den Türen erweist sich durch die folgenden 30 Jahre hindurch als preiswerte und praktische Einrichtung, wenn man mal in den VW möchte, aber keinen Schlüssel für den eigenen (oder fremden) Wagen hat.

1953

Man ist nicht mehr so ganz allein auf der Autobahn, bei deren Bau laut neuester Forschung Hitler doch den einen oder anderen freiwilligen Helfer gehabt haben soll: von hinten kommen immer mehr Automobile, die teilweise noch schneller sind. Der VW erhält größere Heckfenster ohne Mittelsteg, damit sein Fahrer die Lichthupe der dicken Bonzenmercedesse schneller mitkriegt und rüberhuscht.

1954

Auf der rechten Fahrspur kommt man an den Wochenenden trotzdem ins Grüne oder an die See. Die Erhöhung der Motorleistung auf 30 PS bei 1192 ccm Hubraum reicht für eine geschätzte Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Die Familien sind teilweise bis zu 10 Minuten früher in der Sommerfrische und sehen noch Stunden später bei Kotlett und Kartoffelsalat die Mittelstreifen an sich vorüberrasen.

1955

Da man schon wieder mehr zu brauchen meint als das, was man am Leibe trägt, entdecken erste Urlauber, daß bei ihrem VW der Kofferraum schon voll ist - da steht ein Motor drin. Die VW-Werke weisen in einer bundesweiten Flugblatt-Aktion auf den Gepäckraum unter der Kühlerhaube hin, unter der kein Kühler ist, sondern ein Reserverad. Dieser Gepäckraum wird noch einmal entschieden vergrößert, und Familien mit drei Kindern ohne Koffer können jetzt neben ihren bisherigen Kleidungsstücken noch 2 Paar Socken mehr in die diversen Lücken rund um den Reservereifen stopfen.
  Auch die beliebte Beifahrer-Frage, was denn da hinten im Kofferraum so einen martialischen scheppernden Lärm macht, kann nun beantwortet werden; es ist der zuverlässigste und lauteste Motor der Welt.

1956

Da ein rechter VW-Fahrer lieber den Gummischlauch seines platten Reifens flickt, anstatt das Reserverad zwischen seinen Unterhosen hervorzukramen, weil dieses mit seinem Luftdruck die Scheibenwaschanlage betreibt, führt Wolfsburg den schlauchlosen Reifen ein und läßt diese wirklich geniale Symbiose unangetastet.
  Ebenso die einzigartigen Trittbretter des Käfers, auf die man während des Reifenwechsels auch der schlauchlosen Reifen so praktisch die Radmuttern ablegen kann, während man selbst im Schlamm hockt. Eine bessere Geräuschdämmung des Motorraums (hinten) macht den Einbau eines kräftigen Autoradios erstmals sinnvoll. Aber die Heizung...

1958

Echte VW-Fans, die trotz der euphorischen Wirtschaftslage nicht auf ein Auto mit der notwendigsten Ellenbogenfreiheit umsteigen können, erfreuen sich am neu eingeführten Schiebedach aus PVC-Kunststoff und darüber, daß die Abgase, die zusammen mit der Heizungsluft das Wageninnere so mollig gestalten, durch ein großes Loch mehr wieder abziehen können.

1960

Ein neues Jahrzehnt stellt neue Anforderungen. Der VW-Käfer wird ihnen mit 34 PS weniger als gerecht, erhält dafür aber hochmoderne Blinkleuchten auf die nach wie vor pummelig geschwungenen Kotflügel, da die alten Winkerblinker bei einer angepeilten Spitzengeschwindigkeit von 115 km/h garantiert davonfliegen würden. Bis Moskau sind es nun nur noch 25,91 Stunden, aber alle fahren nach Italien. Durch einen abermals vergrößerten Gepäckraum wird Platz geschaffen für wahlweise 2 weitere Paar Socken oder eine leere Chiantiflasche.

1965

Das ewige Auf und Ab über die Alpenpässe bringt außer neuen Rückleuchten für die bekannt griffigen VW-Bremsen (1961) auch zahlreichen Luxus in Form einer mechanischen Benzinanzeige - das Kopfrechnen und die manuellen Kilometerzähler mit Haftmagneten haben ein Ende. Dafür heißt es ab nun genau hingucken, denn so etwas Unpraktisches wie ein von innen umzuschaltender Reservehahn hat in dieser immer moderner werdenden Welt keine Lebensberechtigung mehr. Ingeniöse Verbesserungen an der Frischluftheizung mit Wärmetauscher (1963) führen zur Einführung des Stahlkurbeldachs. Die Umrüstung des bislang nutzlosen Heizungsdrehknopfes auf zwei in Zukunft nutzlose Heizungshebel führt zur Einführung des Nachfolgemodells des VW Standard, des VW 1200A (Heizung identisch).
  Ja, es geht immer schneller voran in der Mitte der 60er Jahre:mit 40PS aus 1285 ccm Hubraum kann man auf eine Lichthupe kaum noch verzichten, auf eine zusätzliche Heizdüse in der Mitte eigentlich schon.

1966

Im VW 1300 ist auch der 1,5-Liter 44PS Motor des VW Transporters lieferbar. Überhaupt kann man mittlerweile in der BRD und anderswo an jeder Tankstelle oder Scheune einen VW-Austauschmotor für ein eventuell verrecktes Exemplar erhalten. Einbauzeit 5 Minuten, Preis 100 Mark. Die zusätzliche mittlere Heizdüse verhilft dem VW-Cabrio zum endgültigen Durchbruch. Das Auto ohne Dach mit guter Luft wird immer beliebter, bricht aber gerne in der Mitte durch, wenn es in die Jahre kommt.

1967

Mit der neuen 12 Volt Lichtanlage kann der Käfer auch im Dunkeln gefahren werden. Da kommt man natürlich auf dumme Gedanken.

1968

Die freie Liebe feiert Feste in Deutschland. In Wolfsburg reagiert man menschlich und mit neuen Verstellnocken an den Vordersitzen mit 4 anstatt bisher nur 3 verschiedenen Stellungen. Der Wunsch von mittlerweile 1000 Millionen VW-Fahrern nach ein, zwei Zentimeter mehr Ellenbogenfreiheit kann jedoch aus traditionellen Gründen nur abschlägig beschieden werden, und so steckt man weltweit weiter die Füße durchs Zweispeichenlenkrad, wenn es auf die Liegesitze geht (und schaltet die Warnblinkanlage ein).

1970

Der Käfer ist nicht totzutreten. Der VW läuft und er läuft und er läuft. Für den Fall, daß die Werbung ausnahmsweise mal nicht die ganze Wahrheit sagt, gibt es jetzt auch Abschleppösen vorn und hinten; und viele fragen sich, wofür die hinteren sein sollen: Geht es wieder rückwärts?
  Nein, es geht bergab: zwar werden die durch die immer noch freier und freier werdende Liebe arg strapazierten Einzelsitze noch einmal verstärkt, doch die Zukunft hält Einzug durch Türinnenhebel aus Plastik anstatt dieses häßlichen Metalls. Die vergrößerten neuen Heckleuchten, auch "Bratpfannen" genannt, sowie eine genial ausgetüftelte Innenzwangsraumentlüftung, zwei zusätzliche Frischdüsen am Armaturenbrett als gar ein auf Wunsch lieferbares zweistufiges elektrisches Lüftungsgebläse räumen endgültig auf mit dem vertrauten Anblick außen und den heißen Füßen und kalten Köpfen innen - das ist der Untergang für unseren pummeligen Freund.

  Am Horizont drohen die schuhkartonhaften Umrisse einer Blechkiste namens "Golf", die sich ratlose Autodesigner der ganzen Welt schon bald zum schlechten Vorbild nehmen sollen - der Käfer, dieses Sinnbild deutscher Nachkriegszeit, rollt hinein in eine Zukunft, in der es nicht mehr eigentlich darum geht, sich zu bewegen, ohne naß zu werden, sondern endlich um die Frage, ob Autofahren ohne quarzgesteuerte Zeituhr (1973), negativen Lenkrollradius (1973) und verstellbaren Kopfstützen (1974) überhaupt noch zumutbar ist.
  Keiner will den Käfer mehr haben, selbst als Zweitwagen für die Zweitfrau genießt er einen gewissen Ruf von Knickrigkeit; 1978 schiebt man ihn still und leise nach Brasilien ab, wo er von fremden, dunklen Männern zusammengelötet und angestrichen wird. Diesen Vertrauensverlust können auch Sitzbezüge aus Nietenstoff nicht wieder gutmachen.

1979

Dann der Schock für die dekadente Schickeria: Der Bau des Käfer-Cabrios, gerade als der letzte Heuler entdeckt, wird eingestellt. Es kommt zu Panikkäufen, und nun, 6 Jahre danach, wird die Angst natürlich von Tag zu Tag größer, daß das Zuckerstückchen plötzlich mitten auf der Leopoldstraße auseinanderbricht.

1985

Nun heißt es auch endgültig Abschied nehmen vom geliebten alten Hardtop-Käfer. Wer je einen besessen hat oder nur einmal drin sitzen durfte, wird tausend gute Gründe haben, ihn zu hassen - und sei es nur wegen der Heizung. Aber der Käfer war für uns alle zu allen Zeiten besser als überhaupt kein Auto. Und das muß ihn wohl so liebenswert gemacht haben.

Wir werden Dich nie vergessen.
Roste sanft.

 

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